Cover
Titel
What is Cultural History?.


Autor(en)
Burke, Peter
Erschienen
Cambridge 2004: Polity Press
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Sebastian Brändli

Das kleine methodologisch-historiographische Werk des führenden englischen Kulturhistorikers Peter Burke ist ein sehr persönliches Buch. Burke führt den Leser durch die Geschichte seines Faches, wählt Untersuchungsgegenstände – einzelne Autoren und Autorinnen und ihre Werke, Paradigmata und Entwicklungen – mit scheinbar lockerer Hand aus und nimmt souverän Gewichtungen vor. Aber diese Subjektivität tut dem Werk keinen Abbruch, vielmehr zeigt sich das Fach durch die Augen des grossen Exponenten (wie immer) von seiner besten Seite.

Was ist Kulturgeschichte? Eine kleine Teildisziplin der grossen Geschichtswissenschaft? Ein neues Paradigma für das ganze Fach? Kann Geschichte heute nur noch als Kulturgeschichte geschrieben werden? Burke stellt in seinen Ausführungen diese Fragen mehrfach, will sich aber nicht mit einer einfachen Antwort zufriedengeben. Immerhin wird mit der Benutzung der Kategorie New Cultural History (NCH), abgeleitet vom Titel eines Tagungsbandes aus dem Jahre 1987, die Entwicklung einer vom Fach durch ein eigenes Paradigma ausgezeichneten Teildisziplin implizit vorgeschlagen; Burke betont aber immer wieder die Rückkoppelungen auf die ganze Geschichtswissenschaft und kann dies nur schon am Erfolg einzelner Begriffsbildungen zeigen. Zur Problematik des konstruktivistischen Paradigmas formuliert er beispielsweise: «If Foucault and Certeau are right about the importance of cultural construction, then all history is cultural history» (S. 79).

Die Darstellungsweise des Werkes ist historisch, in den ersten Kapiteln sogar chronologisch: Ausgehend von Jacob Burckhardts «Kultur der Renaissance in Italien» und Johan Huizingas «Herbst des Mittelalters» wird fürs beginnende 20. Jahrhundert eine wachsende interdisziplinäre Vernetzung der Geschichte, v.a. mit der Kunstgeschichte, festgestellt: Wichtig für Burke sind Aby Warburg und Erich Panowsky. Den stärksten Einfluss für die Herausbildung eines neuen Paradigmas misst er der Verbindung zwischen Geschichte und Anthropologie zu; Clifford Geertz und die Franzosen Emanuel Le Roy Ladurie und Roger Chartier sind seine Kronzeugen dieser Bewegung. Bei der Suche nach dem spezifischen Paradigma der Kulturgeschichte führt Burke für die ersten Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg vier Theoretiker an. Den Beiträgen von Mikhail Bakhtin, Norbert Elias, Michel Foucault, Pierre Bourdieu misst er für diese Definition grosse Bedeutung bei. Das Paradigma selber wird unter den Untertiteln Praxis (practices), Vorstellungen (representations), materielle Kultur (material culture) und menschlicher Körper (body) umrissen.

Für die Profilierung und Neukonfiguierung von Kulturgeschichte ist für Burke seit den 1980er Jahren die Übernahme eines konstruktivistischen Paradigmas – quasi ein Übergang von representation zu construction – wichtig. Dabei verweist Burke nicht nur auf das theoretisch-philosophische Umfeld, das generell stark dem Konstruktivismus huldigt, vielmehr findet der Autor auch in zentralen Werken der Kulturgeschichte, bei Edward Thompson oder Michel de Certeau, wichtige disziplinäre Vorreiter dieses Übergangs. Als zentral für das konstruktivistische Paradigma der neuen Kulturgeschichte erachtet er den Begriff der Invention, der vor allem in Eric Hobsbawms «Invention of Tradition» meisterhaft zum Ausdruck kommt. Mit der Frage nach dem handelnden Subjekt in der Geschichte verbunden ist die Frage nach der Konstruktion von Identität. Dabei vertritt Burke ein «okkasionalistisches» Konzept, das einen Mittelweg «between social determinism and individual freedom» ermöglicht (S. 95).

Im Bestreben, Ordnung zu schaffen, widmet Burke der Definition und inhaltlichen Ausgestaltung der Cultural History den Grossteil seiner Ausführungen, insbesondere der NCH. Natürlich geschieht dabei auch Abgrenzung – z.B. von historischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen oder Forschungsfeldern, die mit Kulturgeschichte zwar Gemeinsamkeiten aufweisen, aber doch von ihr zu trennen sind. Diese Abgrenzungen können nicht in der gleichen Intensität beschrieben und begründet werden, die Inhalte und Methoden des Untersuchungsgegenstandes werden natürlicherweise besser herausgearbeitet als die Umgebungsdisziplinen. Diese Bemerkung trifft insbesondere auf das Verhältnis zur Sozialgeschichte zu, wo sich Burke stärker auf angelsächsische, methodisch rigide Arbeiten bezieht, und offenere (insbesondere auch deutschsprachige) Konzepte, die näher bei der Kulturgeschichte liegen, weniger berücksichtigt (wie er beispielsweise auch den Terminus Gesellschaftsgeschichte nicht thematisiert).

Burke resümiert in seinem Werk die bisherige Kulturgeschichte – und schliesst damit in gewisser Weise eine Phase ab. Unter dem Titel «Beyond the Cultural Turn» stellt er sich zum Schluss die Frage, welche weitere Entwicklung absehbar ist. Neben der Möglichkeit, innovativ weitere Untersuchungsobjekte zu erschliessen – genannt werden insbesondere die Untersuchungsfelder Politik, Gewalt und Gefühle (emotions) –, steht als Alternative «The Revenge of Social History» als Option offen. Auf wenigen Seiten skizziert Burke da Tendenzen, die nach Meinung des Rezensenten im Sinne einer breiter verstandenen Sozialgeschichte schon heute angewandt werden. Auch Burke selber konstatiert die praktisch gelebte Affinität von Sozial- und Kulturgeschichte, indem er auf den Begriff der socio-cultural history hinweist (S. 113).

Zitierweise:
Sebastian Brändli: Rezension zu: Peter Burke: What is Cultural History? Cambridge UK, Polity, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 4, 2004, S. 466-467.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 54 Nr. 4, 2004, S. 466-467.

Weitere Informationen